Ana Mendes - Eine Fabel über Europäer
Neue Blicke auf Homo sapiens in unseren Weltbildern

Naturkundemuseum Graz

Die stille Performerin

„Hätten wir einen scharfen Blick und ein waches Gefühl für alles gewöhnliche Menschenleben, wir hörten gleichsam das Gras wachsen und das Herz des Eichkätzchens schlagen, und wir kämen um in diesem Brausen, das sich jenseits der Stille erhebt. Noch die Lebendigsten von uns gehen fest eingemummt in ihrer Stumpfheit umher.“ (George Eliot)

Unter dem Titel „Eine Fabel über Europäer. Neue Blicke auf Homo sapiens in unseren Weltbildern“ stellte sich Ana Mendes (geb. 1973 in Tomar/Portugal) am 29. Jänner von 12 Uhr bis 17 Uhr auf ein Podest und machte sich selbst zum Ausstellungsstück, verortete sich im Saal „Skelette in Bewegung“, der eine zoologische Dauerausstellung im 2. Obergeschoss beherbergt. Als „Styria-Artist-in-Residence“, einem vom Land Steiermark verantworteten Programm, beabsichtigte sie im Naturkundemuseum in Graz den Blick der Museumsbesucher*innen zu „stören“ und gleichzeitig anthropozentrische Weltbilder zu hinterfragen.

Die Verwendung des Körpers als künstlerisches Material in der Body Art formierte sich um 1970 international, doch im Gegensatz zu den hemmungslos befreiten Kollektivaktionen der sechziger Jahre, zeichneten sich die Body-Art-Aufführungen in den siebziger Jahren durch individualisierte Akte und eine oft geradezu meditativ-mystische Stille aus. Der Körper wurde zum Medium, wurde in Szene gesetzt. War in Europa das Erbe des Wiener Aktionismus unübersehbar, knüpfte die amerikanische Body-Art-Bewegung an Fluxus und Happening, aber auch an den Neudefinitionen von Skulptur durch die Minimal Art sowie an den soziologischen Implikationen der Conceptual Art an. Ab den neunziger Jahren wurde der Körper dann unter anderen Prämissen zum Thema künstlerischer Praktiken und befragt z.B. „virtual reality“ und „Performativität“, „gender“ und „Queer Culture“. Ana Mendes’ Aktion siedelt sich in einem Dazwischen an, ist Performance und gleichsam permanente Ausstellung, in der ein Objekt beleuchtet wird: Auf einem weißen Podest steht eine weibliche menschliche Figur, barfuß und gerade aufgerichtet, regungslos, ca. 1,70 m groß, ca. 50 kg schwer, ca. 37 Jahre alt. Sie hat dunkelbraune kurze Haare, braune Augen und rötliche Wangen, ihre Lippen glänzen. Ihre Daumen und Zeigefinger berühren sich. Diese Haltung erinnert an eine Mudra, eine symbolische Handgeste, wie sie während einer Meditation praktiziert wird. Sie ist beige gekleidet, der Schnitt ist einfach und das Textil sitzt bequem am Körper.

Meinen Blick habe ich auf sie gerichtet, der ihrige weist hingegen starr und konzentriert über die Besucher*innen hinweg. Sie steht erhöht. Ich beobachte sie. Ihre Anstrengung ist spürbar. Positioniert hat sie sich im Raum. Ihre Präsenz ist gewaltiger als die der übrigen Ausstellungsobjekte, dennoch ist es überraschend, dass Besucher*innen das ungewöhnliche Exponat wenig beachten. Für 5 Stunden sollte sie dort stehen, temporär „konserviert“ im Kontext Zoologie im Naturkundemuseum.

Diese Geste kann als eine große verstanden werden, stellt sie doch den Menschen, dessen Autonomie, ins Zentrum und historisiert ihn zugleich. In dem Moment, in dem eine Entsubjektivierung stattfindet, die Künstlerin Ana Mendes sich als Homo sapiens ausstellt, werden Konzepte des Posthumanismus laut: Post-Anthropozentrismus ist gekennzeichnet durch die Entstehung der „Politik des Lebens selbst“. „Das Leben“, so Rosi Braidotti, ist nicht der ausschließliche Besitz oder das unveräußerlichte Recht einer bestimmten Art – des Menschen – vor allen anderen Arten oder eines Seins, das zu etwas Vorgegebenem sakralisiert wird, sondern ein interaktiver, offener Prozess. Diese vitalistische Auffassung des Lebendigen verschiebt die Grenze zwischen dem traditionell dem Anthropos vorbehalten Teil des – organischen wie auch diskursiven – Lebens, dem Bíos, und dem breiteren Feld des animalischen und nichtmenschlichen Lebens, der Zoé. Ein zoézentrierter Egalitarismus ist für Braidotti der Kern der postanthropozentrischen Wende – eine materialistische, säkulare, geerdete und unsentimentale Antwort auf die opportunistische artenübergreifende Vermarktung des Lebens, die der Logik des modernen Kapitalismus entspricht. Er ist auch eine affirmative Reaktion der Kultur- und Gesellschaftstheorie auf die großen Fortschritte jener anderen Kultur, der Naturwissenschaften.

Nun ist also der Mensch als Homo sapiens im Museum ausgestellt, ist gleichsam Präsentation und Repräsentation. Der erklärende Text dazu lautet: „Eine Fabel über Europäer, Ana Mendes, 2017“ und beschreibt das Objekt als „Moderner Mensch, Zellen, Gewebe, Organe, Skelett, Kreislauf-, Verdauungs-, endokrines, lymphatisches, Nerven- , Atmungs- und sensorisches System, Haut, Muskeln und Reproduktionsorgane. Weißer Stoff, Faden, Knöpfe, Haut: Seife, Bodylotion, Lotion, Tagescreme, Augenbalsam, Foundation, Nagellack, Augen-Mascara“. Unter den Glaskuben, die sich weiters in dem Raum befinden, zeigen sich Kreuzotter, Fischotter, Wanderfalke, Wolf, Maulwurf, Gepard, Frosch, Eichhörnchen, Großer Abendsegler, Europäisches Chamäleon, Mäusebussard und Hausratte. Es herrscht Stille. Alleine die Luftzirkulation aufgrund der Lüftung ist zu hören. Die Bewegungen, die wie abrupt angehalten scheinen, sollen Greifen, Segeln, Galoppieren, Sturzflug, Tauchen, Graben, Schwimmen, Springen, Klettern, Hüpfen, Fliegen, Traben, Klettern und Kriechen darstellen. Der Mensch repräsentiert darin vielmehr eine Haltung: Stehen.

Als eine Form neuer Skulptur wird das Material symbolisch verstanden und der Mensch wird selbst zum Vanitas Motiv, zum Hinweis auf das Leben und den Tod. Gleichzeitig ist seine Pose Protest. Die Unmittelbarkeit der eigenen körperlichen Erfahrung wird deutlich.
Auch die des Betrachters. Der individuelle Körper wird zum Symbol für den Menschen an sich, für dessen Verortung innerhalb der Welt, innerhalb der Evolution und verweist auf seine eigene Geschichte, seine Historizität.

„Anything can happen for some weird reason; yet also, without any reason, nothing at all can happen.“ (Reza Negarestani)

Text: Bettina Landl

Fotos: (c) Lena Prehal

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